Wie geht ein Gemeinde mit 79 verschiedenen Nationalitäten um? Ganz einfach: Sie feiert sich und ihre EinwohnerInnen – mit dem Grenzenlos Sommerfest von 10. – 12.7. in St. Andrä-Wördern.
Abdulai steht auf. 15 Leute, die mit ihm zusammen einen Kreis bilden, schauen ihn erwartungsvoll an. Sie wissen, dass der 21-jährige Guineer sie mit seiner Stimme immer wieder aufs Neue überrascht. „Dieses Lied handelt von den Frauen in meinem Land, deren Männer in die Fremde gegangen sind“, sagt er. Abdulai beginnt in seiner Muttersprache Fula zu singen. Das Lied erzählt aus der Sicht einer Frau: „Das Telefon kann ich nicht küssen, nur deine Stimme hören. Was soll ich tun? Ich liebe dich, doch du bist immer weg.“
Die anderen im Kreis nicken und stimmen ab und zu in den Refrain ein. Jeder kennt dieses Gefühl. Mahmud ist Flüchtling aus Afghanistan. Sara ist aus Côte d’Ivoire. Munira aus Somaliland. Sie steht nun auf und fängt an zu tanzen. Alle lachen und fangen an zu klatschen. Hier ist der Kitsch vom Miteinander verschiedener Kulturen Wirklichkeit. Einmal im Monat findet im Flüchtlingsheim Greifenstein „Grenzenlos Singen“ statt. Die TeilnehmerInnen sind ÖsterreicherInnen und BewohnerInnen des Flüchtlingsheims. „Natürlich bin ich nicht nach Österreich gekommen, um zu singen. Ich will arbeiten“, sagt Abdulai. Aber bis dahin heißt es warten.
St. Andrä-Wördern, eine Marktgemeinde bei Wien, rühmt sich, BewohnerInnen aus 79 Ländern zu beherbergen. Und das sind nicht nur die BewohnerInnen des Flüchtlingsheims. Grenzenlos hat es geschafft, diese Nationen auch miteinander zu vernetzen (siehe SWM 02/08). Mehr als das: da gibt es Initiativen wie Grenzenlos Kochen, Grenzenlos Spielen, Grenzenlos Fußball, Grenzenlos Puppen,… Denn auch die Ideen sind – wie gesagt – grenzenlos.
Anna Gruber, die Präsidentin des Vereins Grenzenlos, wurde von der Zivilcourage ihrer Eltern inspiriert. Vor fünf Jahren nahmen sie Maryam aus Guinea auf, ein unbegleitetes, minderjähriges Flüchtlingsmädchen. „Ich habe gemerkt, wie gut es Maryam tut, wenn wir ganz normal miteinander plaudern“, sagt Anna. Und offensichtlich hat es Anna auch gut getan. Sie sieht im Vereinsvorstand von Grenzenlos einen Spiegel der Gemeinde. Da gibt es einen Kurden, ehemals Flüchtling, der mit einem Türken unter einem Dach lebt. Einen Tunesier, der die Fußballmannschaft managt. Einen Holländer mit Austro-Irano-Ägyptischer Frau und Kindern, die in Lateinamerika geboren wurden, sowie eine afghanische Familie, die früher ihr Lager im Flüchtlingsheim hatte. Auch exotischere Herkunftsgebiete wie Vorarlberg sind im Verein vertreten.
Wie kommt es, dass St. Andrä-Wördern die ganze Welt anzieht? „So ist es gar nicht“, meint Ursula Sova, Einwohnerin des Ortes. „Hier gibt es genauso viele AusländerInnen wie anderswo auch. Aber hier gehen wir mit der Vielfalt eben bewusster um.“
Höhepunkt des Jahres ist das Grenzenlos Sommerfest. Da wird dann das französische Lied „Frére Jacques“ in allen möglichen Sprachen gesungen, getanzt wie Frauen aus Uganda, wenn sie Wasser holen oder einfach dem „Quetschenspieler“ gelauscht, wenn er das Wienerlied vom Ringelspiel spielt. Alle sind willkommen.
www.grenzenloskochen.at/sommer